
Man räumt auf, um, und ordnet neu – das kennt jeder. Und dann die Überraschung: Etwas längst Vergessenes taucht wieder auf. Man nimmt es in die Hand und entdeckt eine Qualität, die einem früher nicht bewusst war. So muss es dem Maler Robert C. Rore ergangen sein, als er Anfang dieses Jahres den Inhalt seiner Grafikschränke neu sortierte und dabei auf etwas stieß, das er sofort als Schatz empfand: seine Radierungen.

Der Maler Robert C. Rore hatte nach seiner Schulzeit eine Ausbildung zum Chemotechniker absolviert und auch eine Zeit lang in diesem Beruf gearbeitet. Diese beruflichen Kenntnisse kamen ihm später zugute, als er sich mit der Technik der Radierung beschäftigte. Dabei wurden Kupferplatten von Hand auf Hochglanz poliert und mit einer dünnen Asphaltschicht versehen. Diese Schicht bearbeitete man mit Nadeln, um das Kupfer in feinen Linien wieder freizulegen. Alternativ konnte man die Metallplatten mit feinem Harzstaub bestäuben, den Staub anschmelzen und damit auf der Oberfläche fixieren. Anschließend wurden die freiliegenden Stellen des Kupfers mit diversen Säuren oder Eisenchloridlösungen geätzt, um Vertiefungen zu schaffen. Nachdem Harz und Asphalt entfernt waren, wurde Druckfarbe in die Vertiefungen eingearbeitet. Überschüssige Farbe wurde von der Platte sorgfältig entfernt, sodass auf dem nun wieder glänzenden Metall die in den Vertiefungen verbleibende Farbe das geplante Bild andeutete.
Nun wurde die vorbereitete Platte mit einem feuchten, speziell schweren Papier abgedeckt und durch eine Handpresse zwischen zwei Walzen mit hohem Druck gezogen. Das Papier saugte dabei die Farbe aus den Vertiefungen der Kupferplatte und verwandelte das geplante Motiv in eine fertige Radierung. Übrigens leitet sich das Wort „Radierung“ vom lateinischen radere ab, was so viel wie „kratzen“ oder „schaben“ bedeutet – eine treffende Beschreibung der Technik, bei der mit einer Nadel die Metallplatte bearbeitet wird, ähnlich dem Einsatz eines Radiergummis auf Papier.

In den 1990er-Jahren hielt, zunächst nur für die Büroarbeit, ein Computer Einzug in Rores Atelier. Doch schon bald begann er zu experimentieren, wie sich der Computer für seine Kunst einsetzen ließ. Am Computer bearbeitete er Bilder und Fotos und druckte diese auf transparente Folien aus. Die polierten Kupferplatten wurden mit lichtempfindlichen Schichten versehen, die Folien daraufgelegt und anschließend belichtet. Die belichteten Stellen wurden herausgelöst, die Platte mit feinem Harzstaub bestäubt und der Staub angeschmolzen. Der Rest folgte den zuvor beschriebenen Schritten. Dieses Verfahren war äußerst kompliziert, aufwendig und erst nach zahlreichen Experimenten zu beherrschen. Dabei ging Rore mit der Präzision eines Laboranten vor, inklusive Schutzmaßnahmen wie Handschuhen, Schutzmänteln und Gasmasken. Für farbige Radierungen können zwei oder drei Kupferplatten mit verschiedenen Farben übereinander gedruckt werden – was jedoch die technischen Herausforderungen erheblich steigert. Um das Jahr 2000 entstand als Abschluss von Rores Beschäftigung mit der Radiertechnik eine Reihe großformatiger Bilder. Diese Werke verschwanden jedoch im Archiv und wurden nie vollständig gezeigt. Als Rore Anfang dieses Jahres sein Archiv neu ordnete, kamen diese Blätter in einer der Schubladen wieder zum Vorschein. Was auf den ersten Blick aus der Entfernung wie ein Foto wirkt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als eine Kombination aus alter und neuer Technik: tiefe, samtige Schwarztöne – typisch für die Radierung – und eine computergenerierte Rasterung von kühler Brillanz. Dazu die Zufälligkeiten des Drucks aus der Handpresse: Jedes Blatt ein Unikat. Was für ein Schatz.