Meiner Meinung nach wird der Barock besonders in Bayern oft falsch eingeschätzt. Er wird rückblickend von seinem Rokokoausklang wahrgenommen, diesem lichtvollen, leicht dahin eilenden letzten Traum einer zum Untergang bestimmten Welt. Für mich ist Barock, speziell der katholische, der letzte und vielleicht großartigste Versuch, die Welt und den Himmel, inklusive Gott, man war da nicht bescheiden, als umfassendes Theater zu begreifen, zu erleben und als solches todernst zu nehmen. Alles wurde zur Inszenierung. Rolle und Realität wurden eins. So erscheint es mir. Katholische Kirchen wurden zu düster-erhabenen Orten stundenlanger ritueller theatralischer Handlungen, in denen jede Kleinigkeit, jede Geste ihren Platz, ihre Bedeutung hatte. Barock.
Die großartigsten Bühnen für solche Inszenierungen sah ich in Spanien. Besonders wenn in großen Prozessionen eine ganze Stadt rituell überflutet wird. Da war er für mich: der reine Hochbarock. Spanischer Hochbarock. Velazquez vielleicht oder Greco und eine Musik von grandioser dunkler Majestät eines Christóbal de Morales oder Tomás Luis de Victoria. Ich weiß, daß ich hier den Begriff Barock sehr weit fasse! Dazu eine Menge wabernder Weihrauch und den Blick fest auf eine Heiligendarstellung gerichtet, die in irgendeiner der mit Inka-Gold bedampften Kathedralen Spaniens hängen mag. Es schlägt eine Trommel und rhythmisch setzen die anderen Trommeln ein und geleiten in einer Prozession, so mag es gewesen sein, zum erbaulichen Autodafé dem Akt des Glaubens hinaus aus der Kirche so stelle ich es mir vor. Eine große Veranstaltung rund um eine Hinrichtung vielleicht, in der ein Häretiker, Apostat oder vielleicht auch nur ein bedauernswerter Protestant, mit der wahren Religion, der römisch-katholischen natürlich, versöhnt wird. Eine Hochzeit der Hoheit des Glaubens mit dem Reinigungsakt einer Gesellschaft, die dann passenderweise anschließend in ein großes Volksfest übergeht. Alles Barock.
Das spanische Wort Verdugo heißt auf Deutsch Henker, Scharfrichter. Verdugo lässt sich vom lateinischen viridis herleiten, was so was wie kraftvoll, jung, im vollen Saft stehend bedeutet. Dies lässt, berücksichtigt man das auf dieselbe lateinische Quelle zurückgehende spanische Wort verde für grün, auf eine ziemliche Bedeutungsverschiebung schließen. Besonders wenn man sich das Berufsbild eines Henkers vorstellt. Bedenkt man allerdings die typisch katholische Lust, eine schöne Leich zu feiern, Altbayrischen und Österreichern sehr bekannt, in der die Lust am Leben durchaus mit dem Bewusstsein der Endlichkeit desselben erst die entsprechende Würze bekommt, mag die Idee eines grünen Gärtners als Tod im Feld des Lebens nicht so fern sein. Ich gebe zu, ohne einen Schauer kann ich darüber nicht nachdenken. Aber sind nicht die katholischen Heiligendarstellungen auch schauerhaft, wo ich mir nie sicher bin, welche Lust dort eigentlich gefeiert wird. Offiziellerweise natürlich die des Eingangs ins Paradies, ins ewige Leben, nach einem irdischen Martyrium. Aber immer auch gab es eine andere Lust, eine, die ein ganz anderes Paradies fest im Blick hatte. Das, was man sinnigerweise den kleinen Tod nennt. Sehr kokett. Und schon Rokoko.
Lichtspiele – Jahresausstellung von Robert C. Rore
Malerei, Aquarell, Zeichnung, Druckgraphik
28.07. – 04.10.2011