Eines Tages im Spätherbst 1996 besuchte mich ein hochgewachsener, sportlicher Mann, der sich, nachdem er den Fahrradhelm abgenommen hatte, als Robert C. Rore vorstellte. Er sei Maler und Zeichner und habe von einem Kollegen erfahren, dass wir die „lichtdurchflutete Abstellkammer“, die wir für Kunstdrucke, Kunstkalender, antiquarische Bücher und „Pop-Ikonen-Look-Alikes“ nutzten, in einen Raum für Ausstellungen speziell für „Männerbilder“ umzuwandeln gedachten. Ob das stimme? Als ich bejahte, zeigte er selbstbewusst eine Mappe mit einigen wenigen Beispielen seiner Zeichnungen, Aquarelle und Gemälde – doch schon diese kleine Auswahl reichte, um zu merken, dass Männerbilder-Ausstellungen in München ohne seine Arbeiten nicht funktionieren würden. Womit ich Recht behalten sollte.
Im folgenden Frühjahr fand in der Kunstbehandlung dann schon die erste Gruppenausstellung zum Thema Männer statt: „Männersache“, eine etwas anarchische Veranstaltung, an der noch Minuten nach der Eröffnung gewerkelt wurde, mit einem knappen Dutzend Künstler, zu der neben der Ausstellung in der Galerie auch eine Busfahrt durchs Glockenbachviertel mit einer Sambacombo und Stripper und Stripperin an Bord sowie ein abschließendes Nacktkegeln gehörte. Zu dieser Ausstellung liefert Robert C. Rore nur ein einziges Gemälde ein: „Der Tubaist“, gute zwei Quadratmeter, Öl auf Leinwand. Darauf zu sehen war ein auf einem schwarzen Thonet-Stuhl sitzender, mit schwarzen Netzstrümpfen und schwarzen Pumps knapp bekleideter junger androgyner Mann, den Betrachter über knallroten Lippen fixierend, zwischen den endlosen Beinen eine riesige goldfunkelnde Tuba, und alles vor zartblauem Hintergrund. Ein veritables Skandalbild – das dann dreimal den Besitzer wechselte, weil es den Raum, in dem es hängt, dominiert und eigentlich nicht einmal weitere Einrichtungsgegenstände duldet.
Für den darauffolgenden Sommer waren wir mit Robert C. Rore und einem weiteren Künstler zur Ausstellung „Mannsbilder“ verabredet. Rore hatte für seine Bilder das Thema „Anziehen-Ausziehen“ gewählt und neben Gemälden auch Aquarelle und Bleistift-Skizzen mitgebracht; dem Künstlerkollegen überließ er die Wahl der Ausstellungswand und gab sich mit der „schlechteren“ Fläche der Galerie zufrieden. Mir kam das vor wie ein sportlicher Wettkampf, den Rore selbstbewusst aufnahm. Am Ende waren fast alle Werke von Robert C. Rore verkauft, was zur Verabredung einer ersten Einzelausstellung im nächsten Jahr führte. Seitdem findet in der Kunstbehandlung immer zum selben Termin, mit Vernissage am letzten Donnerstag im Juli, die Jahresausstellung von Robert C. Rore statt.
Bis in die Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts war die Isarvorstadt, zu der das Glockenbachviertel gehört und dessen nördliche Grenze die Müllerstraße ist, ein Viertel mit vielen kleinen Handwerksbetrieben und mehr oder weniger gut beleumundeten Kneipen und Gaststätten, die für Abstürze und Höhenflüge immer deutlich besser geeignet waren als etwa das viel schickere Schwabing. Und seit Ende der Siebziger Jahre entwickelte sich um uns herum das zentrale Ausgeh- und zunehmend auch Wohnviertel der Gay-Community. Außerdem waren im Viertel traditionell Galerien ansässig, teils mit berühmten Namen. Sie alle sind inzwischen ins Areal rund um die Pinakothek der Moderne übersiedelt, auch um festzustellen, dass die Gabelsbergerstraße eigentlich ein lebensgefährlicher Autobahnzubringer ist, unwirtlich wie der Mond und frei von Laufpublikum.
Vorbei. Das einst bunte Treiben, mit berühmten Protagonisten, von Fassbinder bis Freddy Mercury, hat inzwischen eine modefarbige Klientel angezogen, in deren Gefolge nicht nur Boutiquen mit austauschbarem Angebot und Läden für Ernährungsfetischismus, sondern auch die Spekulanten kamen. Was ist nur aus Sex and Drugs and Rock’n’Roll geworden? frage ich mich. Veganismus, Laktoseintoleranz und Helene Fischer am Ende?
Nun, ganz so schlimm ist es – noch – nicht. Immerhin wurde auch eine schillernde Pionierpflanze zu einer kulturellen Institution im Glockenbachviertel. Den Wandel im Viertel haben wir selbst zwar eher nicht mitgemacht, aber durchaus künstlerisch-kulturell begleitet – seit nunmehr über zwanzig Jahren. Ein guter Grund ein bisschen Stolz zu zeigen und wieder neue Werke von Robert C. Rore zu präsentieren, deren Kraft und Qualität und Spielfreude mehr sind als nur Ausdruck einer Epoche oder gar nur einer Mode.
Martin Levec