Archiv für den Tag: 3. Dezember 2011

30×30 No.9: Robert Sherer

Robert Sherer - Kunstbehandlung München

30×30 No.9
Gruppenausstellung
24.11.2011 – 21.01.2012

Über die Arbeiten von Robert Sherer

Unter Brandmalerei stellt man sich landläufig oder aber auch in München ein mit folkloristischen Motiven dekoriertes Frühstücksbrett vor – ein „Schmuckgewürzbretterl“ bestenfalls. Das Gegenteil einer harmlosen Deko-Brandmalerei liefert Robert Sherer. Seine Bilder, auch mit glühender Nadel ins Pappelfurnier gebrannte und kolorierte Szenerien, erzählen andere Geschichten. Jugenderinnerungen des Künstlers, alten Agfa-Color-Fotos nicht unähnlich. Der Junge, der das Auto wässert, Wiederbeatmungsversuche, Strandszenen. Lesen Sie im Folgenden das von der Quartalszeitschrift „The Art Of Man“ freundlicherweise zur Verfügung gestellte und von Sven Koch ins Deutsche übertragene Interview mit Robert Sherer.

Interview mit Robert Sherer

Der Künstler Robert Sherer lebt und arbeitet in Atlanta (USA). Er studierte am Walker College, dem Atlanta College of Art, der Georgia State University und der Rhode Island School of Design und schloss 1992 mit dem Grad eines Master of Fine Art an der Edinboro University of Pennsylvania ab.

In den 1990er Jahren wurde Sherers Kunst zum Gegenstand von vier öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen. Sein Kampf gegen die Zensur in den Bundesstaaten Ohio, Pennsylvania, Alabama und South Carolina ging durch die internationale Presse und machte ihn als den am stärksten von der Zensur betroffenen Künstler in den USA bekannt. Der Vergleich, den Sherer 1995 in einem von der US-Bürgerrechtsvereinigung American Civil Liberties Union unterstützten Prozess gegen das Barnwell County Museum erreichte, ist einer der wenigen Fälle, in denen ein amerikanischer Künstler wegen eines Verstoßes gegen die US-Verfassung (1. Zusatzartikel) finanziell entschädigt wurde.

2002 vertrat Sherer die USA auf der Triennale in Paris, 2001 und 2007 auf der Biennale in Florenz. 2007 erhielt er die Lorenzo-il-Magnifico-Medaille für eine Folge von Holz-Brandmalereien mit dem Titel American Pyrography.

Im Laufe der Jahre haben sich in Sherers Kunst vier Werkgruppen herausgebildet, die jeweils um eine sexuell-politische Thematik kreisen: (1) der zensierte männliche Akt: Umkehrungen der Geschlechterrollen, die den Sexismus in der eurozentrischen Kunstgeschichte hinterfragen; (2) neoklassische Arbeiten: Bilder über die spirituellen Reise des weiblichen Bewusstseins; (3) Blutarbeiten: botanische Illustrationen, die sich mit dem Thema HIV befassen und mit HIV positiven wie negativen Blut gezeichnet wurden; (4) American Pyrographs, Brandmalerei auf Furnierholz, die vor allem die homosexuelle Liebe unter Jugendlichen zum Gegenstand hat.

Art of Man: Warum hast du den männlichen Körper zum zentralen Motiv deiner Bilder gemacht?
Robert Sherer: Für mich ist der männliche Körper sowohl eine Möglichkeit, um soziale und politische Themen anzusprechen, als auch ein Gegenstand des Vergnügens und der Schönheit. Der männliche Körper ist Schauplatz für ideologische Auseinandersetzungen und Interpretationen. Der Kapitalismus behandelt ihn als Ware. Der Militarismus sieht in ihm das Kanonenfutter. Die Heteronormativität streicht seine Rolle in der Fortpflanzung heraus. Und für die Religion ist er der Sitz, das Gefäß des Geistes.

AOM: Wann bist du zum ersten Mal mit der Zensur in Konflikt geraten?
R.S.: Meine Uni-Abschlussausstellung mit männlichen Akten wurde in den 1990er Jahren heftig angegriffen und zensiert. Die Christian Coalition hat meine Arbeit verteufelt und ihre Anhänger und Mitglieder aufgerufen, gegen die Ausstellung zu protestieren, wohin sie auch kam. Über die Umkehrungen der Geschlechterrollen sagten diese Leute: „Sherer pervertiert die göttliche Ordnung der Natur, wenn er Männer in weiblichen Rollen darstellt.“

AOM: Hat sich an dieser Haltung für dich was geändert?
R.S.: Ja, absolut. Ich hatte mein Coming Out 1978, und seither habe ich Gay Art gemacht und ausgestellt. In den 1980er Jahren und Anfang der 1990er haben homophobe Kreise im amerikanischen Kulturleben meine Arbeit häufig unter Beschuss genommen, aber gegen Ende des Jahrhunderts besserte sich die Situation zusehends.

AOM: Hast du je Probleme gehabt, deine Pyrographien auszustellen?
R.S.: Für die meisten klar denkenden Menschen ist es offensichtlich, dass meine Kunst keine geilen Gelüste bedient. Vor zwei Jahren kam ein Mann in eine Ausstellung von mir in der Lyman-Eyer Gallery in Provincetown und beschwerte sich darüber, dass ihm meine Arbeiten pädophil vorkämen. Der Galerist Jim Lyman, der kein Blatt vor den Mund nimmt, hat kurz versucht, ihm den Hintergrund zu den Werken zu erläutern. Aber bald merkte er, dass der Kerl ein völliger Ignorant war. Da sagte Jim zu ihm, meine Kunst sei nur etwas für Menschen mit einem gewissen Kunstverständnis, und da der Herr offenbar nicht genug davon besäße, möge er besser die Galerie verlassen. Mich hat Jims Verhalten überrascht, aber nichtsdestotrotz war ich froh, dass jemand wie er mir zur Seite steht.

AOM: Haben Sie immer in diesem Stil gearbeitet?
R.S.: Meine Arbeiten haben sich im Laufe der Jahre stark verändert. Ich behalte eine Ausdrucksweise so lange bei, wie sie meinen Zwecken dient oder bis sie mich langweilt. Dann ist es an der Zeit, etwas Neues zu machen. Für mich haftet Künstlern, die ein Thema oder Stil entwickeln und das danach in alle Ewigkeit nur noch variieren, etwas Unredliches an. Ich möchte zwar bis an mein Lebensende Brandmalerei auf Holz machen, aber nur weil das Thema für mich sehr wichtig ist. Derzeit liegen bei mir im Atelier über zweihundert fertige Zeichnungen für neue Arbeiten.

AOM: Magst du uns von deiner ersten Ausstellung erzählen?
R.S.: 1979 hat mich meine Mentorin im College, London Bridges, die übrigens wirklich so heißt, eingeladen, ein paar von meinen surrealistischen Zeichnungen in ihrer Atelier-Galerie in Birmingham, Alabama, auszustellen. In der dortigen Kunstszene war London zu jener Zeit eine Größe. Die Sammler, die zu ihrer Ausstellung kamen, waren chic, kunstinteressiert und kannten sich aus in der Welt. Ich habe mehrere Arbeiten verkauft, und danach war ich wild entschlossen, aus meiner Kleinstadt wegzugehen und in eine große Stadt zu ziehen.

AOM: Wolltest du schon immer Künstler werden?
R.S.: Meine Eltern behaupten, dass ich schon als kleines Kind nichts anderes wollte als Künstler werden. Eine meiner frühesten Erinnerungen ist die, dass ich meinen Eltern erzählt habe, eine Ecke meines Zimmers sei mein Atelier und ich dürfte nicht gestört werden. Ich habe keine Ahnung, wie ich darauf gekommen bin – ich hatte damals überhaupt keinen Kontakt zu Künstlern. Vermutlich habe ich da was im Fernsehen oder im Kino gesehen.

AOM: Erinnerst du dich an eine besondere Gefühlsregung angesichts eines Kunstwerks?
S.R.: In Florenz war ich eines Nachmittags irgendwie ohne meine Reisebegleiter unterwegs. Obwohl ich zuvor schon mehrfach mit Freunden in den Uffizien gewesen war, wollte ich mir da noch einmal den Botticelli-Raum ansehen. Ohne die Ablenkung durch meine Freunde bemerkte ich bald, dass ich immer euphorischer wurde und schließlich von einer inneren Ergriffenheit überwältigt wurde. Später erfuhr ich, dass es für diesen Zustand sogar einen medizinischen Fachbegriff gibt, das Stendhal-Syndrom.

AOM: Deine Holz-Brandmalerei ist ziemlich einzigartig. Verrätst du uns, was es damit auf sich hat?
S.R.: Ja, sie sind wirklich anders als alles, was ich aus der zeitgenössischen Kunstszene kenne. Zunächst einmal ist es Holz-Brandmalerei – und um ihr einen zusätzlichen Anstrich von Authentizität zu geben, verwende ich sogar kunsthandwerkliche Materialien und Techniken, wie man sie auch in Sommercamps benutzt. Außerdem handeln sie von jugendlicher Sexualität und den entscheidenden Momenten, an den die natürliche Liebe der Männer zueinander das soziale Konstrukt des Wettbewerbs überlagert. Die meisten schwulen Künstler enthalten sich dieses Themas, weil sie Angst vor dem Vorwurf der Pädophilie habe. Die habe ich nicht, denn ich weiß, dass diese Kunstwerke in gewisser Weise autobiographisch sind, und mich kann ja niemand daran hindern, die Geschichte meiner Jugend zu erzählen.

AOM: Wie kann man sich über deine Arbeit informieren?
R.S.: Meine Werke werden in vielen Ausstellungen gezeigt. Am einfachsten lässt sich das vermutlich mit Google Alert verfolgen. Eine wirklich gute Gelegenheit, Werke von mir zu sehen, ist meine jährliche Ausstellung in der Lyman-Eyer Gallery in Provincetown, Massachusetts. Dort habe ich jeden Sommer eine Einzelausstellung, meist während der dortigen Carnival Week. Außerdem zeigt die Website der Galerie eine Auswahl neuer Arbeiten von mir unter www.lymaneyerart.com. Ein umfangreiches Archiv meiner Kunst findet sich zudem auf meiner Website unter www.robertsherer.com.

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